31.10.2014 Waiblinger Kreiszeitung Nach dem Fabrikbrand: Feuerwehr und DRK
Welzheim von Christian Siekmann Welzheim/Alfdorf. Foto: ZVW „Wenn es keine Ehrenamtlichen geben würde, wäre dieser Einsatz nicht so erfolgreich abgelaufen“, sagt Sven Knödler vom Alfdorfer DRK. Er meint das gar nicht mal provokant. Er stellt es fest. Im Gespräch mit Feuerwehrleuten und dem DRK-Vertreter wird deutlich, was die Menschen leisten. Es stellt sich die Frage, wie es in Zukunft aussehen wird, denn der Nachwuchs fehlt.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich am Frühstückstisch, sind auf der Arbeit, oder haben gerade Besuch bei sich zu Hause, den sie lange nicht gesehen haben. Plötzlich vibriert es am Gürtel. Der Pieper meldet sich. Irgendwo brennt es. Die Freiwillige Feuerwehr muss ausrücken und das DRK wird ebenfalls alarmiert. Ein Vergnügen ist das sicherlich nicht, wenn die Pieper die Ehrenamtlichen aus dem Alltag reißen. Aber sie stehen bereit. Nicht alle können zum Unfall ausrücken, aber es sind immer genug Menschen da. Eine Herausforderung für die Ehrenamtlichen, für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Familien. Geht das noch lange gut? Ein Gespräch mit Vertretern der Feuerwehr und des DRK, das viele Themen anspricht: Geld, Freizeit, körperliche Anstrengung – Ärzte überprüfen die Leistungsfähigkeit der Wehrmänner – und eine gehörige Portion Idealismus.
Hauptamtliche Feuerwehrleute in Welzheim? „Finanziell wäre das gar nicht zu stemmen“, sagt Sven Knödler vom DRK und René Görler und Achim Sailer von der Welzheimer Wehr nicken. Die Stadt braucht die Ehrenamtlichen. Damit ist nicht nur die Stadtverwaltung gemeint, sondern jeder einzelne Bürger.
Unkenntnis: Viele wissen nicht, wie es abläuft
„Die Ehrenamtlichen gewährleisten im Rems-Murr-Kreis für 411?000 Einwohner ein wesentliches Stück der Sicherheit“, sagt Knödler. Ohne sie würde das System der Hilfe im Landkreis „nie im Leben funktionieren“. Der DRKler und die Feuerwehrleute erklären, wie es im Notfall abläuft. „Viele Leute wissen ja gar nicht, wie wir arbeiten. Die denken, dass das Feuerwehrhaus immer besetzt ist!“, räumt Achim Sailer mit einem Irrtum auf. „Die wissen gar nicht, dass das ein Ehrenamt ist.“ Beide Gruppen haben einen Pieper, der anspringt, wenn es einen Vorfall gibt. Es werden immer mehr Leute angepiept, als nötig sind, sagt Achim Sailer. Denn nicht jeder Freiwillige kann seinen Arbeitsplatz oder sein Heim verlassen. Familienväter könnten ja schlecht ihr Kleinkind alleine zu Hause lassen. Und wer gerade beruflich stark eingespannt ist, kann nicht sofort seinen Arbeitsplatz verlassen. Doch irgendwer muss kommen. Darum haben viele Arbeitnehmer Absprachen mit ihrem Arbeitgeber getroffen. Beispielsweise können sie spontan Ersatz für sich suchen und dann zur Feuerwehrwache eilen. „Man muss schon abwägen, ob man weg kann“, sagt Achim Sailer.
Sven Knödler spricht Probleme an. Er betont: Die Ehrenamtlichen opfern freiwillig Zeit, obwohl sie sich um ihre Familie oder ums Geschäft kümmern müssen. Auch Arbeitgeber müssen dazu bereit sein. Man denke an den kleinen Elektrobetrieb, sagt Knödler, bei dem – im Falle des Brandes in Breitenfürst – einen Tag lang ein wichtiger Mitarbeiter ausfiel. „Man hat Firmen, die das zulassen“, sagt Knödler und bedankt sich. Der Einsatz am Montag bedeutete für manche Angestellte auch einen ungewollten und unfreiwilligen Überstundenabbau.
Das Problem sei, dass nicht mehr alle Arbeitgeber so kollegial sind, wie es früher einmal war. War es früher ein positives Kriterium, sich ehrenamtlich zu engagieren, schauten einige Arbeitgeber – deutschlandweit – genau hin und legen ein Engagement bei der Feuerwehr oder beim DRK negativ aus, denn es droht Verlust. Da sei auch die Politik gefordert, deutet Knödler an. Es müsste Anreize für Arbeitgeber geben, solche Leute einzustellen. Es gelte, deutlich zu machen, wie wichtig diese Menschen sind, die ja nicht nur fremde Häuser und Firmengebäude löschen, sondern im Brandfall auch den eigenen Betrieb sichern. „Jeder erwartet, dass die Feuerwehr sofort da ist“, sagt Knödler. Die Leute müssten auch mal überlegen, was da alles hintersteckt, und ob sie sich nicht selbst engagieren könnten, mit ihren Talenten als Handwerker, Finanzexperte oder Netzwerker. „Jemand, der beim Einsatz die Brötchen belegt, ist Gold wert“, betont Knödler. Bewusstsein schaffen, ist das Stichwort. Jeder sollte sich hinterfragen, ob und was er und sie leisten können.
Wandel: Es gibt immer weniger junge Leute
Das zweite Problem: der demografische Wandel. „Weniger junge Leute müssen für die Sicherheit sorgen“, sagt Knödler. Da bestehe ja bald schon Konkurrenz zwischen den Vereinen und Institutionen, die Ehrenamtlichen für sich zu gewinnen. Dann bestehe die Gefahr, dass man die Aktiven überfordere, die sich womöglich gleich bei drei oder vier Vereinen engagieren. Schlecht für die Wehren war auch der Wegfall der Wehrpflicht. Wer nicht zum Bund wollte, konnte sich als langjähriges aktives Mitglied bei der Feuerwehr verpflichten. Diese Rekrutierungsmaßnahme fiel weg.
Punkt drei: Die Pendlersituation hat sich verändert. Wer in Welzheim wohnt und in Stuttgart arbeitet, kann keinen Brand in der Mittagszeit in der Limesstadt löschen. Andersrum arbeiten Rudersberger Feuerwehrleute in Welzheim. Das könnte besser koordiniert werden. Sailer und Görler merken an, dass diese dann bei ihrer Heimwehr arbeiten und gleichzeitig auch bei Welzheimer Übungen mitmachen müssten. Schwierig, aber man habe die Sache im Blick. „Wir wären ja schon dankbar, wenn die Leute, die in Welzheim sind, im Brandfall auch verfügbar sind“, sagt Görler. Früher hätten mehr Leute im Ort gearbeitet. Das sei nun anders. Fest steht: „Zwischen 7 und 18 Uhr ist es knapp“, sagt Achim Sailer.
Ein weiterer Knackpunkt: das Werben um Jugendliche. Das Angebot an Vereinen sei groß. Wie attraktiv ist da das DRK oder die Feuerwehr? Fußball habe feste Zeiten. DRK und Freiwillige Feuerwehr kosten mehr Zeit, Fortbildungen inklusive, und es kann in jeder Minute ein Einsatz passieren. Wenn Leute nach Vorteilen für sich suchen, kommen viele zu dem Schluss, dass sich DRK und Wehr nicht mehr lohnen, sagt Sven Knödler. Viele „junge Leute gehen nach Benefit“, sagt er, nach Profit. Außerdem fehle vielen die Freizeit. Das gelte natürlich auch für den Beruf. Die Arbeit würde die Menschen immer mehr in Anspruch nehmen. Wichtig sei es, den Mehrwert des Ehrenamts in den Fokus zu rücken.
Wie wäre es denn, sagen die drei Ehrenamtlichen, wenn die Gemeinden den freiwilligen Helfern Rabatte gewähren, die Mediathek kostenlos benutzen lassen, wenn Verwaltung und Vereine Partner suchten, beispielsweise Banken, und ein kostenloses Ehrenamtskonto ins Leben rufen. Das größte Kompliment, die schönste Motivation und die beste Belohnung sei aber immer noch ein ehrliches „Danke“. Vor Monaten seien zwei Herren mit Wein auf die Wache gekommen und hätten sich bei den Freiwilligen persönlich bedankt, weil ihnen geholfen worden ist. Das hat Stil! Das motiviert!
Und was ist die Grundmotivation? „Es macht einfach Spaß“, sagt René Görler. Es sei sinnvoll und gesellig. „Ohne die Geselligkeit ist das nicht machbar“, erklärt er. Seine Kollegen und er hätten „die Überzeugung, jemanden zu helfen.“ Und da sind die Vorbilder in der Familie. „Man sah es als Kind bei seinem Vater“, sagt Achim Sailer. Da wachse man rein und nimmt viele Stunden in Kauf, die die Leute in Übungen und Lehrgänge investieren müssen.
Aber: Das Bewusstsein für das Kollektiv nimmt ab, beobachtet Knödler, das sieht er an den abnehmenden Blutspender- und Fördermitgliederzahlen. „Wir suchen immer noch den Schlüssel, wie wir neue Mitglieder gewinnen können.“
Mehr Solidarität: Die Zeiten werden schwieriger
„Wir machen uns gemeinsam mit der Gemeinde Gedanken, wie wir die Tagesdienste aufrechterhalten können“, sagt Achim Sailer. Gespräche laufen. Tut die Stadt genug für die Feuerwehr? „Wir können uns nicht beschweren. Wir werden von der Stadtverwaltung unterstützt“, sagt Sailer. „Das Nachwuchsproblem müssen beide angehen“. Knödler ergänzt: „Wie schaffen wir es, das Ehrenamt attraktiver zu gestalten?“, das sei die zentrale Frage. Er betont: „Die Bevölkerung soll nachdenken: Was kann jeder machen?“ Er fordert mehr Solidarität, „denn die Zeiten werden schwieriger. Wir suchen händerringend Personal“. Er wendet sich auch an Leute, die nur begrenzt Zeit hätten. Jemand, der nur Dienstag oder Mittwoch Zeit habe, könne trotzdem helfen. Man brauche von allen Seiten Engagement: vom Land, den Kommunen, Vereinen und den Menschen, sagt Knödler. Man könnte Firmen auszeichnen, die sich vorbildlich für die Feuerwehren einsetzen, entsprechende Projekte gebe es in Teilen schon.
Institutionen wie Feuerwehr und DRK müssten mehr in Schulen reingehen, zu den Leuten kommen, deutlich machen, dass das Ehrenamt eine „sinnvolle Freizeitbeschäftigung“ ist, sagt Knödler außerdem. Es gehe ja nicht nur um die „Front“. Dem DRK und der Feuerwehr sei auch geholfen, wenn jemand Kassier wird oder die Homepage pflegt. Arbeitgeber könnten dafür sorgen, dass Mitarbeiter ehrenamtliche Arbeiten vom Firmen-Computer erledigen könnten. Viele gute Vorschläge also.
Vielleicht finden DRK und Feuerwehr in den nächsten Tagen ja neue Ehrenamtliche. Achim Sailer: „Über jeden, der neu kommt, freuen wir uns!“
Stadt ist in Kontakt mit den Vereinen
„Das Potenzial an jungen Menschen, das man für gemeinnützige Aufgaben hat, wird geringer“, sagt Bürgermeister Thomas Bernlöhr. Die Stadt sei im Gespräch mit den Institutionen.
Die Situation rund um das Ehrenamt ist schwierig, das zeigt ein Gespräch mit Thomas Bernlöhr. Es gibt viele Ansätze, aber eine geniale Idee, wie man das Ehrenamt wieder attraktiver machen kann, die gibt’s bisher noch nicht. Darum müssen die Kommunen und Vereine über die Ortsgrenzen hinweg zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden. Finanzielle Anreize könnten helfen, jedoch müsse man sich vor Fehlanreizen schützen, und wenn eine Gruppe Geld kriegt, wollen auch wieder andere Euros sehen. Und die Kommunen müssen die Ausgaben im Blick haben. Man müsse auch bei den Arbeitgebern ansetzen. Es gelte Bewusstsein für die Ehrenamtlichen zu schaffen, Werbung zu machen. „Wenn jemand eine gute Idee hat: Ich bin offen“, sagt der Schultes. Das Thema Jugendliche und Ehrenamt werde noch zu einer Daueraufgabe für die Kommunen werden. Darum führe und suche man das Gespräch.
Das Problem, dass es nicht jeder Arbeitgeber gerne sieht, wenn sein Personal allzu viele Ehrenämter innehat, ist auch dem Bürgermeister bewusst und da sei es auch als öffentliche Hand schwierig, gegen anzukommen. Die Einsicht, „dass wir noch mehr machen müssen“, sei da, so der Bürgermeister. Das koste Zeit, Energie und wohl auch Geld. Allerdings macht Bernlöhr klar: „Die Bezahlung ist die Anerkennung“. Auch er hievt das Thema Ehrenamt auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene.