17.05.2017 Waiblinger Kreiszeitung Bei Herzinfarkt beherzt helfen
Waiblingen. Im Rems-Murr-Kreis startet ein Pilotprojekt zur Bekämpfung des Herzinfarkts. Eine Aufklärungskampagne soll die Bürger zwischen Rems und Murr ermutigen, auch als Laie beherzt zu helfen, zu reanimieren und Defibrillatoren einzusetzen. Dr. Thomas Eul ist Oberarzt im Klinikum Winnenden und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“. Die Fragen stellte unser Redaktionsmitglied Martin Winterling.
Herr Eul, 18 Kardiologen aus dem Rems-Murr-Kreis haben den Verein „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“ gegründet. Warum?
Das Satzungsziel ist allgemein: Der Verein wurde zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege gegründet. Insbesondere soll durch Aufklärung der Bevölkerung ein Beitrag zur Verbesserung der Versorgung der Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen verwirklicht werden. Konkret wollen wir:
- über die Symptome des Herzinfarktes und über das richtige Handeln bei entsprechenden Symptomen aufklären,
- über kardiovaskuläre Risikofaktoren und über präventive Maßnahmen aufklären,
- über das Bild und das schnelle Erkennen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes und über eine richtige Laienreanimation bei Herz-Kreislauf-Stillstand aufklären und
- über die Verwendung eines Defibrillators aufklären.
Mit welchem Ziel erfolgt die Aufklärung?
Hiermit wollen wir erreichen, dass sich Betroffene viel früher als häufig bisher bei entsprechenden Symptomen an die Rettungsleitstelle wenden, so dass Diagnosen früher gestellt und schneller medizinische Maßnahmen ergriffen werden können.
In Winnenden gibt es inzwischen ein hervorragend ausgestattetes Klinikum. Reicht das nicht?
Tatsächlich ist die Klinik für Kardiologie in Winnenden eine auf höchstem Niveau ausgestattete Abteilung. All die modernen und teuren Geräte können allerdings nur dann eingesetzt werden, wenn die Rettungskette funktioniert. Diese beginnt beim Herzinfarkt mit dem Anruf bei der Leitstelle – die 112 wählen.
Wie viele Menschen sind im Rems-Murr-Kreis jährlich von einem Herzinfarkt betroffen?
Für Deutschland werden etwa 300 000 Herzinfarkte pro Jahr angegeben. Umgerechnet auf unseren Landkreis erleiden somit pro Jahr rund 1550 Menschen jährlich diese Erkrankung.
Zeit ist Leben. Rund ein Drittel der von einem Herzinfarkt betroffenen Menschen stirbt, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Was plant der Verein, um deren Überlebenschancen zu verbessern?
Die Mitglieder des Vereins haben sich die Aufklärung der Bevölkerung in unserem Landkreis zum Ziel gesetzt. Wenn bei Auftreten entsprechender Beschwerden umgehend der Notarzt alarmiert wird, ist es unwahrscheinlicher, dass lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auftreten. Zudem wird über Symptome informiert, die vor einem Herzinfarkt auftreten können. Wir hoffen, dass hierdurch gehandelt werden kann, bevor ein Herzinfarkt auftritt. Und natürlich wird auch über Prävention und Lebensstil gesprochen: Denn noch besser, als einen Herzinfarkt schnell behandelt zu bekommen, ist, erst gar keinen zu erleiden.
Als medizinischer Laie fühlt man sich hilflos, wenn man als Retter gefordert ist. Egal ob bei einem Verkehrsunfall oder einem Herzinfarkt. Der Erste-Hilfe-Kurs ist Jahre, wenn nicht Jahrzehnte her. Schade ich mit meiner dilettantischen Hilfe nicht mehr, als ich helfen kann?
In den letzten Jahren haben sich die Empfehlungen vor allem bei der Wiederbelebung stark verändert. Wir wollen darlegen, dass jeder helfen kann. Und wir wollen den Menschen die Angst nehmen, die ganz häufig, wie uns berichtet wird, eine große Rolle bei der Ersten Hilfe spielt. Denn falsch ist nur, nichts zu tun.
Wie hoch ist der Zeitbedarf für die Vorträge und Kurse, die der Verein „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“ anbietet?
Wir bieten Firmen, Gemeinden, Vereinen, Behörden etc. an, einen Vortrag auf einer Veranstaltung zum Thema Herzinfarkt, Risikofaktoren, Prävention und Wiederbelebung beim Herzkreislaufstillstand zu halten. Gefolgt wird dieser Vortrag von praktischen Übungen in der Wiederbelebung und in der Handhabung eines Defibrillators – geschult durch Mitarbeiter des DRK Rems-Murr. In der Regel dauert eine solche Veranstaltung eine Stunde. Sollten viele Teilnehmer angemeldet sein, werden mehrere Puppen und Defibrillatoren für die praktischen Übungen aufgestellt. Insgesamt stehen 30 Übungspuppen zur Verfügung.
Und was kosten die Vorträge und Übungen?
Für den Veranstalter entstehen keinerlei Kosten. Der Verein „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“ finanziert sich ausschließlich über Spenden. Eine Anschubfinanzierung für das über drei Jahre geplante Projekt erfolgt durch die Partner AOK Ludwigsburg Rems-Murr, Deutsche Herzstiftung, Rems-Murr-Kliniken und die Stiftung der Sparkasse Waiblingen, ohne die das Projekt nicht hätte begonnen werden können.
Welche Hoffnungen verbinden Sie mit Ihrer Initiative gegen den Herzinfarkt?
Meine Hoffnung ist, dass sich die Menschen schneller melden, eine zeitnahe hochspezialisierte Therapie durchgeführt werden kann und hierdurch Todesfälle vermieden werden können. Denn es ist bewiesen und auch in unserer Klinik zu sehen: Je schneller wir den Herzinfarkt durch eine Herzkatheteruntersuchung behandeln, desto mehr Menschen überleben diesen. Für Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand hoffe ich, dass die Quote der Laienreanimation und die Verwendung eines Defibrillators im Landkreis durch unsere Aufklärungskampagne drastisch ansteigt. In Deutschland liegt diese Quote bei 20 bis 25 Prozent, in den skandinavischen Ländern deutlich darüber. Da wollen wir in unserem Landkreis auch hinkommen. Nach vielen Jahren als verantwortlicher Oberarzt der Intensivstation liegt mir dies ganz besonders am Herzen.
Foto: Habermann / ZVW
<hr / />
Aktion „Defi melden“
Auf seine Art einmalig ist die Aktion „Defi melden“, die der Verein „Gemeinsam gegen den Herzinfarkt“ ins Leben ruft. In den vergangenen Jahren sind vielerorts Defibrillatoren aufgestellt worden: in Behörden, Sporthallen, Bahnhöfen und in den meisten Arztpraxen. Im Ernstfall stellt sich jedoch die lebensrettende Frage: Wo ist der nächste Defi?
Hier setzt die Aktion „Defi melden“ an: Alle Standorte im Kreis sollen erfasst und in einer Karte aufgenommen werden, die der Rettungsleiststelle des Rems-Murr-Kreises zur Verfügung steht. „Ziel ist es, dass die Leitstelle bei jedem Herz-Kreislauf-Stilltand den Betreiber des Defis anruft und zum Einsatzort leitet oder einen Ersthelfer zum Defi führen kann.“ Auf diese Weise sollen mehr Defibrillatoren zur Wiederbelebung eingesetzt und die Überlebenschancen der Betroffenen erhöht werden.