28.04.2005 Wenn’s tiefrot blutet und nicht weh tut
Waiblinger Kreiszeitung Rommelshausen Wie sich die Kerner Rotkreuz-Jugend spielend-locker auf den Ernstfall vorbereitet Von unserem Redaktionsmitglied Hans-Joachim Schechinger Die blutrot klaffend auf die Haut modellierten Schnittwunden sind nicht nur sehr lehr-reich, denn an ihnen lässt sich lernen, wie Pflaster geklebt und Druckverbände angelegt werden. Auch der Spaß zählt beim Übungsabend der Kerner Jugend-Rotkreuzler. „Damit kann man die Eltern zu Hause verarschen“, freut sich die zehnjährige Laura schon auf die Heimkehr.
Jeden Dienstagabend trifft sich die Kernener Rotkreuz-Jugend um 18 Uhr im DRK-Heim in der Sonnhalde 20. Der harte Kern zählt zehn bis 15 Mädchen und Buben. Jessika, die Jüngste, ist erst sechseinhalb Jahre alt, aber schon mit Leib und Seele dabei. Das Training von Seitenlage und Pflästerle-Kleben ist für alle Kinder noch weit mehr Spiel als gewissenhaftes Üben für den Ernstfall, und trotzdem bleibt vom Gelernten was hängen.
„Jessi“ gibt heute in der Übungseinheit „realistische Unfalldarstellung“ (RUD) das Versuchskaninchen: Beim Wundenschminken mit Dermawachs, Pulver und roter Farbe hält sie freiwillig den Zeigefinger hin. Das Thema heißt Fingerkuppenverletzung, und alle gucken gebannt zu. In den klebrigen Wachsbobbel, den sich Jessi auf die Haut gedrückt hat, wird mit dem Kunstoffspatel eine Schnittstelle geritzt, grade so als ob sie den blutigen Finger eben aus der Brotschneidemaschine zöge. „Ich fall’ in die Ohnmacht,“ mimt Laura die Hypersensible. Blutrote Farbe leuchtet an Jessikas Finger. Warum verzichtet das Rote Kreuz beim authentischen Üben auf leibhaftiges Menschenblut? Die Kinder wissen’s genau: „Wegen den Krankheitserregern im Blut, wegen Aids.“ Trotzdem gilt auch für die Wachswunde an „Jessies“ Finger: „Bloß nicht abschlecken!“
„So, da machen wir jetzt ein Pflästerle drauf“, rät Ilona Steichele vom Leitungsteam. „Den Pflasterklebestreifen aufschneiden in drei Teile. Dann noch mal einen Klebestreifen drum rum.“ Jessika fühlt kein bisschen Schmerz und guckt leidend wie ein eben gerettetes Unfall-opfer. „Den Finger nach oben halten“, ermahnt Michael Filippi freundlich, „dass nicht so viel Blut raus läuft, sonst gerinnt es nicht.“
Die Lektion ist in der Runde angekommen. Mädchen und Buben, die um einen großen Tisch sitzen, stürzen sich jetzt aufs Verbandsmaterial, modellieren unter Gezeter und Gelächter mit Dermawachs an Daumen und Unterarmen Furcht einflößend klaffende Verletzungen. Der 13-jährige Dominik, dem im Turnunterricht neulich die Speiche brach und nun einen dicken Gipsverband am linken Unterarm tragen muss, macht sich am rechten Daumen zu schaffen. „Da hatte ich mal eine Schnittwunde. Die ist dann genäht worden.“ Das ist sein Modell. Und Laura, die klagend berichtetet, sie sei durchs Fenster gesprungen, bekommt einen Druckverband angelegt, weil ihre Schnittwunde so furchtbar blutet. „Das macht man aber nur bei starkem Bluten und nicht am Hals“, erklärt Michael Filippi. Die Kleinen nicken brav.
Das alles ist höchst lehrreich und macht Spaß. Die Kernener Jugend-Rotkreuzler im Alter zwischen sechs und 17 Jahren, denen ab 14 dann richtige Erste-Hilfe-Kurse und die Ausbildung bei lebensrettenden Sofortmaßnahmen angeboten werden, dürfen hier auch richtig Blödsinn machen. „Also das Wunden machen ist voll lustig,“ bestätigt die neunjährige Katharina. Trotzdem: Sie und Laura wissen zu gut um den Ernst, der hinter jeder Erste-Hilfe-Übung steckt. Im Zeltlager, dem großen jährlichen Sommerevent, von dem alle jungen Rotkreuzler in Kernen schwärmen wie vom Urlaub am Meer, haben sich die zwei Mädchen mal so richtig verletzt. Blutende Fleischwunden. Ingrid Fink, die damals Lager-Köchin und Bereitschaftshelferin war, verband sie professionell. Das vergessen die Mädchen nicht. Da lernten sie, wozu Erste Hilfe im Ernstfall gut sein kann. Und wie man sich in der Not auch mal selber helfen kann, wie die sechsjährige Jessika weiß.
Der kecken Laura gefällt an den Schminkübungen auch, dass ihre Eltern zu Hause einen Schreck kriegen, wenn sie denen Ihre gemalten Blutflecken hinhält. Eine Freundin hatte die heute Zehnjährige damals zum Jugend-Rotkreuz mitgebracht. „Ich war ja auch in der evange-lischen Jungschar, aber jetzt gehe ich dort nicht mehr hin, weil ich katholisch bin.“ Mit dem Roten Kreuz liegt sie goldrichtig. Die Konfession spielt hier keine Rolle. Es zählt das Ge-meinschaftserlebnis, der Spaß, unter Gleichaltrigen einen abwechslungsreichen Abend zu verbringen und das echt gute Gefühl, sich und anderen helfen zu können.
INFO Wer mal Interesse hat, beim Jugend-Rotkreuz in Kernen reinzuschauen, meldet sich telefonisch bei der Jugendleiterin Ilona Steichele, Tel. 07151 / 4 39 82 oder beim Bereitschaftsleiter Dieter Hurlebaus Tel. 07151 / 4 20 81